Von Ute Gerst
Neustadt-Mussbach. Volles Haus – und das bei einem einzelnem Mann auf der Bühne, dem es gelingt, gänzlich ohne Requisiten zweieinhalb Stunden lang perfekt zu unterhalten – das gab’s am Samstag beim mittlerweile schon fünften Gastspiel des Freiburger Kabarettisten Thomas Reis in der Reihe „Kabarettissimo“ im Mußbacher Herrenhof.
„Liebe Zielgruppe“, so beginnt Reis sein Programm, das den Titel „Endlich 50!“ trägt und eine konsequente Fortsetzung von „Gibt’s ein Leben über 40?“ ist, mit dem er 2006 im Herrenhof zu Gast war. Zehn Jahre lang habe er es gespielt und darüber vollkommen vergessen, älter zu werden, berichtet er. Bis ihn seine Freunde zu seinem eigenen runden Geburtstag eingeladen hätten. Absolut böse sind die Gedanken und Worte des Schnelldenkers und -sprechers, der vom Hölzchen auf Stöckchen kommt. Da wird dem Zuhörer schon einiges abverlangt, wenn die Bomben-Opfer durcheinander fliegen, samt ihren durchgeknallten Selbstaufopferern. Von wegen böses Erwachen im Paradies angesichts fehlender Jungfrauen, Reis schickt die testosteron-gesteuerten Glaubenskrieger aufs Amt zum ermüdenden Formular-Ausfüllen. „Das Leben ist zu kurz zum Sterben, und Sterben ist kein schöner Tod.“„Endlich 50!“ ist Kabarett. Keine humoristische Altenpflege! Früher sei man rechtzeitig gestorben, heute mache man noch schnell die Ausbildung zum Heilpraktiker, der Staatsanwalt wird zum Klangschalentherapeuten, der Rest-ager zum Best-ager! „Schnippelschamanen“ sprechen zu ihren Kochshow-Jüngern, Eltern wissen ein Leid zu klagen über ihre erwachsenen Kinder, die im „Passivhaus“ vor sich hin „kompostieren“.
Da wird der sprachgewandt-komische Analytiker nicht müde, der „tiefenentspannten Ehrgeizlosigkeit“ Tipps zu geben: „Ein Praktikum als Pflegefall! Kauf dir ’ne Tür und werd Türsteher!“ Reis bohrt nach dem Sinn im Alltäglichen und entlarvt dabei jede Menge Lug und Trug und haarsträubenden Unfug. Das Resultat ist eine perfekte Mischung aus Alltagskabarett und philosophischen Sentenzen. Da wird Kant zitiert und die „schwarze Milch der Frühe“ aus der Todesfuge von Paul Celan, ein Moment Ernst, um dann wieder zu sagen, dass das „Sterben ein Scheißtod ist“, wobei der Veganer ausgewiesener Fachmann dafür ist, denn „er beißt jeden Tag ins Gras“.
Man könne auch das Jenseits als sicheres Drittland anpreisen, er, Thomas Reis, sei ja nicht religiös, aber trotzdem intolerant. Intolerant gegenüber Antisemiten, aber auch gegenüber den ganz normalen Faschisten. Als Meister der Dialekte und Stimmimitation, schaltet er hin und her zwischen Themen und Kabarettgenres: von einem bitterbösen Selbstmörderstammtisch zu einer Politiker-Rollenspielrunde, wobei unser Altbundeskanzler Kohl und der „Erzengel Gabriel“, der zu einer „Pummelputte“ verkommen ist, nicht fehlen dürfen. Und er traut sich was, er traut sich, Verbindungen herzustellen, die in der Luft liegen und die kaum jemand aussprechen würde wie der Hinweis auf die „Vergasermanipulation von VW“, wenn man um die Firmengeschichte weiß.
Er setzt sich ein für den „Bund der Zerriebenen“ (Parmesan) und will dann doch Raucher bleiben, weil ihm „die Möhre danach“ zu albern erscheint. Nein, Rinderzunge, esse er nicht, das sei ihm zu intim, und nicht wirklich interessieren würde es ihn, wie „pürierte Currywurst“ schmeckt. „Wo Männer blähen, da denken Frauen“, findet die Zustimmung der Hälfte des Publikums, aber alle machen mit beim nostalgischen Werbe-Ratespiel: „Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur …! Oder aber auch „Ei, ei, ei Verpoorten! Das Publikum hat sichtlich Spaß daran und ist selbst erstaunt darüber, welch prägende Wirkung Werbung hat. „Wie in der Kirche, nur textsicherer!“ Denn „Werbung ist der Borkenkäfer der Gehirnrinde – googeln Sie mal den Spot von Frauengold!“
Wie ein Chamäleon wechselt Reis seine Rollen, meistert bewundernswert so viel Text, dass der Zuhörer Mühe hat, gedanklich mitzuhalten. Mal poltert er sächsisch los oder philosophiert sanft auf wienerisch. Immer atemberaubend schnell und witzig, wieselflink Sprüche, Bilder und Begriffe assoziierend, punktet Reis mit seinem Wortwitz und Ideenreichtum. Scharf wie ein Messer sinniert der Meister der Wortakrobatik über die Absurditäten des Lebens wie, dass da jemand Juchtenkäferbeauftragter wird, der so einen Käfer noch nicht mal erkennen würde oder dass man im Zuge der Gleichberechtigung auch das „Zapfhuhn“ bedenken sollte. Wie gesagt: „Das Leben ist Urlaub vom Tod“, so verabschiedet sich ein Schwadroneur, der seinesgleichen sucht. „Schönen Resturlaub noch.“