Von Hildegard Janssen-Müller
Neustadt-Mussbach. Ein bestens gelauntes Publikum verließ am Samstagabend den Herrenhof mit seiner Kleinkunstbühne Kabarettissimo. Weihnachtsstress? Wie weggeblasen. Ebenso die Gedanken an Wind und Regenwetter. Oder Ohrwürmer von Rentier Rudolf und Jingle Bells. Dafür hat das Quartett „GlasBlasSing“ mit seinem etwas anderen und mit sehr viel Jubel und Beifall bedachten Weihnachtsprogramm „Süßer die Flaschen nie klingen!“ gesorgt.
Statt süßem Glockenklang und Engelsgesang hören die zahlreichen Besucher aus dem Off zunächst die Geräuschkulisse eines Weihnachtsmarkts, den unverkennbaren Ton einer Motorsäge, das Kreischen aufgeschreckter Vögel, das entfernte „Hohohohoho“ eines Weihnachtsmanns. Und schon stehen die vier Musiker auf der Bühne, führen ein paar Flaschen zum Mund und blasen den Atem darüber. Ein „Halleluja“ erklingt. Ein wenig heiser die Töne, doch eindeutig Johann Friedrich Händel. Eine kurze triumphierende Sequenz nur, dann werden die Flaschen zu Trommelschlegeln, die auch vor dem eigenen Kopf als Klangkörper nicht Halt machen.„GlasBlasSing“, das sind Andreas Lubert und Jan Lubert, David Möhring und Frank Wegner, zeigt damit gleich zu Anfang, was für Klangwelten in Flaschen stecken können, wenn sie von ihren Inhalten, den so genannten „Stimmflüssigkeiten“, entleert sind. Die verschiedensten Töne lassen sich ihnen mit Blasen und Schlagen entlocken, eine andere Technik ist das „Ploppen“ mit dem feuchten Daumen wie bei „Spanish Flee“. Das Publikum probiert es in der Pause aus, ist allerdings nicht vom Erfolg geküsst.
Das Ensemble dagegen, vielfach preisgekrönt, setzt Flaschen sogar als Klangkörper für Saiteninstrumente ein. Da erhält eine große Kunststoffflasche durch die Nutzung als minimalistisch konzipierte einsaitige Gitarre ein neues Leben, ein leerer Wasserspender wird als Resonanzkörper für den „Spender-Jazz-Bass“ oder als Bassdrum des Schlagzeugs wieder wertvoll. Werden Flaschen als Schlegel oder Klangkörper für Schlagwerke genutzt, erinnern sie stellenweise an den rhythmusbetonten, fröhlich-frechen Klang von Guggemusiken, manchmal auch an den Klang und vor allem den pulsgebenden Effekt japanischer Trommelgruppen, dem sich kaum jemand entziehen kann. Als Rhythmusinstrumente dienen auch Druckspritzflaschen mit kräftigem „Pfffff“ und leere Bierkästen.
Ganz besondere Begeisterung ruft beim Publikum das „Flachmanninoff-Xylophon“ hervor, ein Art Schellenbaum, aus Flachmännern konstruiert. David Möhring spielt darauf mit Klöppeln Mozarts „A la turca“, den „türkischen Marsch“, in einem Tempo, als wolle er in einem musikalischen Wettrennen Nikolai Rimski-Korsakow mit seinem „Hummelflug“ hinter sich lassen. Werden die Flachmänner dagegen mit einem Milchaufschäumer zum Klingen gebracht, erwecken sie die Illusion unendlicher vieler kleiner Silberglöckchen.
Richtig sportlich, an das Herumreichen des Schoppenglases und Gymnastikstunden erinnernd, wird es, als die Musiker sich zu dritt bei „Hit the road Jack“ vier Flaschen teilen, diese im Kreis herumgeben, sie später hintereinander stehend von vorn nach hinten durchreichen, sie sich zuwerfen, ohne aus dem Takt zu kommen oder auch nur einen falschen Ton zu blasen. Respekt. Das Publikum jubelt.
Es gibt – „ding dong“ – Glockenklang von Glasflaschen, Wortspiele im Stil von Willy Astor, und Texte werden umgestaltet. Da zeigt das liebliche „Schneeflöckchen, Weißröckchen“, ganz sanft geblasen, seine Tücke, indem es Autos und – schlimmer noch – Hundehaufen auf Gehwegen unter sich versteckt. Mit allen Mitteln der Flaschenklangkunst wird Ingo Insterburgs „Ich liebte ein Mädchen“ begleitet und um neue Orte (auch aus der Pfalz) erweitert. Das Publikum wird mit einem Flaschenmusik-Memory mit einbezogen und mit einem Schnellkurs zum Dialekt vom Nordrand des Harzes, der Heimat der vier Künstler.
Klassische Literatur wird allein durch die ausgefallene Instrumentierung verändert. Sei es der bereits erwähnte Mozart oder Händel, sei es Johann Sebastian Bach, dessen barockes Menuett mit großem „Orchester“ inszeniert wird. Denn um diesem großen Meister gerecht zu werden, benötigen die Musiker jeweils sechs beziehungsweise sieben Flaschen., die sie gleichzeitig in Händen halten. Der Fantasie und Experimentierfreude scheinen keine Grenzen gesetzt. Das Publikum ist hingerissen – und teilweise auch angesteckt von den originellen Ideen, Flaschen zu recyclen.