Sein Kopf ist so voll

Kultur Regional

„Mit Abstand das Beste“. Klar, ohne Abstand geht seit etwa zwei Jahren gar nichts mehr. Aber auch im übertragenen Sinne sitzt der Programmtitel: Denn Thomas Reis, der am Samstagabend in der Reihe Kabarettissimo im Festsaal des Herrenhofs Mußbach zu Gast war, lief zu kabarettistischer Hochleistung auf. Neben der Politik beleuchtet er auch den Sport, Religion, Esoterik, Thermomix-Kult, Veganismus, Feminismus und Genderismus.

Von Regina Wilhelm

 
Mit kräftigem Applaus wird Reis begrüßt. „Welch ein schönes Geräusch“, sagt er dazu. Das habe er die vergangenen zwei Jahre arg vermisst. Nein, jammern wolle er nicht. Schließlich könnte er mit seinen 58 Jahren – „das beste Alter für eine Umschulung“ – auch noch „was anderes machen“. Spontan fällt ihm Kanzler ein. Aber der Job sei nicht leicht, auch nicht leicht zu bekommen, sagt er auf „Sitcom-Laschet“ verweisend. Schon hebt er zu einem Rundumschlag auf die anderen frisch gewählten Polit-Granden an: Annalena, geopolitisch desorientiert und in der falschen Steuerklasse. Auch in den deutschen Wäldern kenne sie sich nicht so gut aus. Gut, zu Weihnachten habe sie eine göttliche Zuwendung – „berufsbedingte Einkünfte“ – erhalten. Deshalb jemanden kreuzigen? „Das war einfach nur blöd“, räumt Reis ein. 

Als nicht blöd schätzt der Künstler Olaf ein. „Cum-Ex, Wirecard – das hat der sich verziehen.“ Entschuldigend fügt er an, dass Scholz eben geprägt sei vom HSV und einem Leben im Schatten der Raute. „Nein, der trägt nichts nach, der ist total gechillt.“ Selbst Buddhisten entspannten jetzt mit „Ooolaaaf“ statt mit „Ohmm“. Und noch eine Fähigkeit übernähmen die Buddhisten vom Kanzler: „Sie verscholzen im Nirvana ihrer selbst. Dann sind sie weg. Wie Olaf, wie Jochen Behle bei den Olympischen Spielen 1980.“ Ein Seitenhieb auf die aktuellen in China folgt auf den Fuß. „Angela fehlt mir.“ Reis zeigt ein trauriges Gesicht. Anders die CDU: „Die braucht Jahrzehnte, um sich von ihr, der ,Unverblühbaren’, zu erholen.“ Dabei habe die CDU einen starken Gegner: der Tod. 

Zurück zu „Oil of Olaf“, der wie in Zeitlupe spreche und über eine „gediegene intellektuelle Fließgeschwindigkeit“ verfüget. „Wieso wurde der eigentlich gewählt?“, fragt der Künstler. „Weil 60 Prozent der Frauen einen Mann und keine Annalena wollten“, antwortet er sich selbst. Auf scheinbar dünnes Eis begibt sich Reis mit dem „heiklen Thema Frauenwahlrecht“. Aber anders als vermutet, bricht er eine Lanze „für die den Männern überlegenen Frauen“. Blödmann, meint er grinsend, sei eine Tautologie, so wie „Heiratsschwindel“ und „Russenmafia“. Schnell schiebt er erklärend nach: „Ich bin intolerant.“ Diese Eigenschaft werde niemals schlecht, nie „toleranzig“. Thoma Reis greift einmal mehr ein Stichwort auf, um zum nächsten Komplex zu springen. Warum er bei Toleranz Tino Chruballa assoziiert? Obwohl dieser deutsche Gedichte schätze, „kennt der kein einziges“. Woher sollte er auch?

Chruballa wiederum führt zu den „zwei Ossinen“, die jetzt Ministerämter innehaben. Da ist Klara Geywitz aus der Potsdamer Hausbesetzerszene, auch Immobilienhandel genannt, was aber ebenfalls mit Häuserkampf zu tun habe. Ihre Benennung als Bauministern sei ähnlich der eines Schweins zum Metzger. Reis: „Auf jeden Fall gute Nachrichten für Wohnungsunternehmen wie Vonovia“

Die zweite, „Zonen-Steffi Lemke“, steht dem Umweltressort vor. Mit ihrem Diplom für Tierproduktion könne Lemke, die „in einer Platte aufgewachsen ist“, bei Käfighaltung sogar von eigenen Erfahrungen sprechen. Ihr Fett wegbekommen ebenfalls Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Letztere, sie halte wohl die Ukraine für ein gallisches Dorf, habe das Amt von AKK – „das klingt wie ein deutsches Sturmgewehr“ – übernommen. Diese wiederum lädt ein zu einem bitterbös-scharfen Exkurs über das Chaos, das Deutschland und der ganze Westen in Afghanistan hinterlassen haben. 

Svenja Schulze. Reis: „Die weiß vieles nicht, ist durch den PCR-Test gefallen“; brauche gar selbst Entwicklungshilfe. Es folgen Christian Lindner, „ein Glühwürmchen, das als Berufswunsch Flutlicht angegeben hat“, mit seinen „zwei Funzeln Wissing und Buschmann“. Für Anne Spiegel, die Ministerin für „Ged…“, äh für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und vor allem Cem Özdemir, der den Künstler zum Anstimmen von „Broiler hört die Signale“ animiert, gibt es Szenenapplaus. Nicht weniger grandios-komisch beschreibt Reis den „knuffigen Robert (Habeck)“ oder Karl Lauterbach, der jetzt aus der Wohngruppe Lanz ausgezogen ist.

Noch nicht viel fällt ihm zu Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt ein, der „das lachende Michelin-Männchen“ ablöste. Immerhin mache Schmidt mit seinem „grinsdebilen Lächeln“ den Kanzler froh. 

Der gebürtige Freiburger arbeitet sich nicht nur an der deutschen Regierung ab. US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris knöpft er sich ebenso vor wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den ehemaligen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, den russische Präsident Wladimir Putin oder die „Junkerin“ Uschi von der Leyen. Da werden Eigenheiten oder kleine Auffälligkeiten aufgegriffen und zu einem perfekten, teils vor Bosheit triefenden Bild verarbeitet. Dass er ob seiner Wortwahl mitunter für Schockstarre beim Publikum sorgt, ficht den Kabarettisten nicht an. 

Neben der Politik beleuchtet er in gut zwei Stunden Sport, Religion, Esoterik, Thermomix-Kult, Veganismus, Feminismus und Genderismus. Seine vielen Gedanken – „mein Kopf ist so voll“ – packt er in wohlgesetzte Worte, mit denen er ausgiebig jongliert. Ihm zuzuhören, macht irre Spaß. Ernst wird er beim Schlussappell ans Publikum: „Bleiben Sie klug!“.

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 43
DatumMontag, den 21. Februar 2022
Seite15