Von Kamelbuckeln und Knefs Traum vom Kiffen

Kultur Regional

Nostalgischen Zauber und Wortwitz bringt Ulrich Michael Heissig mit seiner Kunstfigur „Irmgard Knef“ bei Kabarettissimo in den Mußbacher Herrenhof

Von Birgit Karg

Besuch der alten Dame: Mit „Irmgard Knef“ erlebten die Herrenhof-Besucher in Mußbach eine hinreißende Hommage an den Weltstar Hildegard mit schwarzem Humor und umgedichteten Chansons: Die schnoddrige Greisin bringt Grandezza ins Seniorenstift. Aber nein, es ist ein Mann.

Mit dem Rollator schleppt sie sich am Samstagabend auf die Bühne; doch kaum ist sie vor Publikum, wird sie quicklebendig und schaltet in den Diven-Modus: „Ja, mir geht’s gut / die Herzen voller Sonnenschein“ schmettert Irmgard Knef ins Mikrofon und umarmt damit die Zuschauer und gleich die ganze Welt. „Barrierefrei – mit 95 noch dabei“ hieß das Programm in der Reihe Kabarettissimo, mit dem Irmgard Knef nach 2019 zum zweiten Mal im Herrenhof Mußbach gastierte. Die Knef-Figur bescherte einen wunderbaren Abend voller nostalgischem Zauber. Große Gesten, eine rauchige, Cognac-getränkte Stimme und dieses gewisse Timbre, nah am Original und doch mit eigener Note: Hinter der Bühnenerscheinung steckt – wen wundert’s – ein Mann. 

Dem in Sindelfingen geborenen Regisseur, Autor und Schauspieler Ulrich Michael Heissig gelingt über zwei Stunden eine kunstvolle Hommage an Hildegard, und das abseits schriller Travestie und billiger Imitation. Mit Irmgard Knef hat er dem umstrittenen Weltstar eine Zwillingsschwester angedichtet, sozusagen die Kreuzberger Alternative, eine tragikomische, lebenspralle Alte. Mit ihrem Programm „Barrierefrei … auch mit 95 noch dabei“ singt und plaudert und beißt und boxt sich Irmgard auch mit 99 Jahren noch durchs Leben. „Im Erdgeschoss unten / im Seniorensitz am See“ hält sie Hof und beglückt ihre Zuhörer mit Anekdoten und umgedichteten Chansons. Der Bigband-Sound kommt vom Band, doch die Diva ist echt: Hinter der Irmgard entdeckt man die Hildegard und Heissigs große Kunst, dem Original samt Knef-Klon neue Facetten zu entlocken.

Im Song „Wär mein Leben ein anderes geworden“ sinniert die robuste Irmgard über das Schicksal. Das hat Grandezza. Wie die schnoddrige und unangepasste Greisin von den Wechselfällen des Lebens berichtet, ist schlichtweg faszinierend. Man hört und staunt und genießt mit den anderen 150 Zuschauern einen Abend intelligenter, warmherziger Unterhaltung. Besonders gefallen die Knef-Cover und Klassiker von Gilbert Bécaud. Da wird „Du bist das Salz in der Suppe“ zum Liebeslied auf den Pfleger im Seniorenstift („Du bist das Molton unterm Laken“), und schwarzhumorig wird es auch.

Als Trümmerfrau und „Sünderin“In Schnapslaune singt und swingt sich Irmgard Knef durch ihr Leben, und beim Gedächtnistraining im Seniorenheim glänzt die Diva mit Hochkultur: Erst rezitiert sie „Der Herr Ribbeck“, dann macht sie Fontanes Helden zum Schnapsbrenner. Ganz nach dem Motto „Das Leben ist zu kurz, um schlecht drauf zu sein“ geht’s mit einem Trinklied fürs Publikum in die Pause. 

Das Programm punktete mit gut platzierten Gags, facettenreichem Humor, der auch mal schwarz oder dosiert halbseiden daherkam, mit intelligenten Wortspielereien und nostalgischen Rückblicken: Im Chanson „Wenn das alles ist“ erlebte sich Irmgard Knef als Trümmerfrau, Wirtschaftswunder-Pin-up und „Sünderin“. Und plötzlich findet sie sich wieder am Grab der Zwillingsschwester. Mit einem Strauß Veilchen! Denn „Die roten Rosen waren ausverkauft“. Inmitten wilder Träume von Kuheutern und Kamelbuckeln erscheint ihr Papst Ratzinger, und mit Lieblingspfleger Kevin erfüllt sich Irmgard den langgehegten Traum vom Kiffen. Wie da die Urin-Ente zur Wasserpfeife wird, ist schlicht Slapstick vom Feinsten. 

Dass die Greisin auch mit 99 Jahren noch up to date ist, bewies das Lied „Die Welt verändert sich“ über Klima, Autokraten und Krisen. Und ihrem geliebten Berlin setzte sie mit dem Jacques Brel-Cover „Nachts am Cottbuser Damm“ ein Walzer-tänzelndes Denkmal. Als Irmgard Knef hält Ulrich Michael Heissig die Erinnerung an Hildegard Knef wach, die künftig im Nebel des Vergessens zu verblassen droht.

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 262
DatumMontag, den 11. November 2024
Seite22